Vom Wert des Schnitts

Lesezeit: 10 Minuten   alle Beiträge

"Wie packt man 90 Jahre prall gefülltes Leben in 25 Minuten Film? Beim Filmemachen geht es nicht ums Herzeigen – es geht ums Weglassen"

Beim Filmemachen geht es nicht ums Herzeigen – es geht ums Weglassen. Dieser Gedanke bestimmt den Prozess des Filmemachens ab dem Zeitpunkt, ab dem Stoffsammlung und Recherche vom Treatment- und Drehbuchschreiben abgelöst werden. Spätestens jetzt verwandelt sich ein Projekt wie das filmische Porträt „Vom Wert der Zeit“ in ein Herzblutprojekt – und es beginnt ein innerer Kampf darum, welche Lebensinhalte aufgeschrieben, gedreht und schließlich in den Film Eingang finden müssen.

Natürlich lässt sich ein so reiches und vielschichtiges Leben wie das des inzwischen 90 Jahre alten Hermann Huber nicht vollständig ausleuchten. Das ginge vermutlich nicht einmal mittels einer schriftlichen Biografie. Es bleiben also Lücken, die der Zuseher selbst ausfüllen muss. Und hier beginnt die Kunst des Filmemachens: Es gilt, diejenigen Ereignisse, Entwicklungen, Erfahrungen, Brüche und Zufälle im Leben von Hermann Huber ausfindig zu machen, die pars pro toto stehen. Und die es dem Publikum ermöglichen, den Menschen kennenzulernen, sein Wesen zu verstehen, sich emotional mit ihm zu verbinden. Es geht nicht darum zu erzählen, dass jemand 100 Expeditionen in die ganze Welt gemacht hat. Es reicht oft, eine Expedition herauszupicken. Denn schon ein einziges Ereignis kann den Zuschauern einen Darsteller so nahebringen, dass jeder weiß, wer er ist. Oder zumindest, wie sich die Filmemacher ihren Protagonisten vorgestellt haben.

Die anderen 99 Expeditionen finden
im Kopf des Zuschauers statt.

Simon Platzer

Im Leben von Hermann Huber gab und gibt es viele Schlüsselerlebnisse. Die Herausforderung für Regie und Schnitt besteht darin zu differenzieren, zu entscheiden, was wertvoller ist, sich aus massiv viel interessantem Inhalt nur das Allerbeste herauszupicken. Mit kleinen, wertvollen Stücken schafft man es dann auch große Geschichten zu erzählen.

Das Zusammenspiel von Schnitt und Regie ist für den Film essenziell. Im klassischen Schnitt fungiert der Cutter für den Regisseur als reines Arbeitswerkzeug – als Techniker, der die Bilder in eine fließende Form bringt, ohne sich Gedanken zur Story zu machen. Dies ist oft mit größerem Zeitaufwand behaftet.

Im „Regieschnitt“ hingegen fließt das Herzblut des Schneiderlings mit ein. Durch gutes Teamwork und viel Vertrauen seitens des Regisseurs bekommt der Cutter die Freiheit, die Story so zu schneiden, dass dem Film das richtige Feeling verliehen wird. Das Ziel und die Geschichte, das Wissen, das dem Zuschauer vermittelt werden soll, wird vom Regisseur bestimmt. Damit legt dieser den Grundstein für ein Projekt. Das Zusammenspiel von Regie und Cutter besteht in der Übertragung der antizipierten und niedergeschriebenen Emotionen auf die Bilder, in der Erzeugung von Schnittfolgen und Übergängen, die den vom Regisseur gewünschten Effekt auf den Zuschauer haben.

Für den Drehbuchautor und Regisseur ist es immer wieder spannend und überraschend zu sehen, wie seine eigenen und die Ideen des Cutters ineinanderfließen, sich verbinden und im besten Falle mehr werden als die Summe ihrer Teile.

Tom Dauer

Es fordert Vertrauen und dass sich der Cutter selbst einen Zugang zum Thema – in diesem Fall zum Mensch Hermann Huber – schafft und eine Begeisterung dafür entwickelt. Dies ist natürlich der Idealfall, denn dann zieht man an einem Strang, reißt sich gegenseitig mit und entwickelt im gegenseitigen Austausch und im Vertrauen auf das Können, die Erfahrung und den Zugang des jeweils Anderen eine Geschichte. Im besten Falle also: wirkliches Teamwork.

Die Ursprungsstory kann hierbei wieder und wieder umgeworfen werden. Der Regisseur verlässt sich auf die Erfahrung des Cutters und gewährt ihm im Schnitt Freiheiten. Andererseits wiederum weiß der Schneiderling aufgrund der inhaltlichen Schwerpunkte, die der Regisseur vorgibt, in welche Stellen er besonders viel Energie stecken muss und in welche Richtung es insgesamt gehen soll.

Für den Drehbuchautor und Regisseur, der die Geschichte, den Lebenslauf des Protagonisten ja als Erster kennengelernt und recherchiert hat, bedeutet dies, nicht auf seinen Ideen und in seinen Vorstellungen zu verharren. Er muss offen sein für Input, ohne den Kern seiner Geschichte – also das, was ihn ursprünglich interessiert und fasziniert hat – aus den Augen zu verlieren. Nur dann kann „sein“ Film zu „unserem“ Film werden. Und ein Prozess in Gang kommen, den jeder Beteiligte als bereichernd empfindet. Im Falle von „Vom Wert der Zeit“ hat dies bestens funktioniert.

mit Tom Dauer und Simon Platzer